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10:43:09 - HFF MÜNCHEN | KOMPETENZMAGAZIN

96 Perspektivwechsel| HFF Gibt es einen Unterschied zwischen Dokumentar- und Spielfilm? Über Genregrenzen, Fernsehzwänge und inszenierte Realität Filmregisseur Heinrich Breloer im Gespräch mit Prof. Heiner Stadler Stadler: Stellen Sie sich vor, in 20 Jahren dreht jemand einen Film über die RAF und verwendet insze- nierte Teile aus Ihrem Film „Todes- spiel“, um die politische Situation der 70er Jahre in einem Dokumentar- film zu beschreiben. Breloer: Ich hätte nichts dagegen. Ich habe mich bemüht, die authentische Situation mit Hilfe der Zeitzeugen herzustellen. Und obwohl dramatisiert wird, sind wir doch sehr nah range- kommen an die Geschichte. Ich hätte deshalb nichts dagegen, weil ich mir sicher bin, dass ich da nichts verdreht habe. In „Todesspiel“ tritt Helmut Schmidt als Zeitzeuge auf. Im glei- chen Film spielt Manfred Zapatka eben diesen Helmut Schmidt. Wer ist nun wer? Wer spielt? Oder spielen beide? Der ehemalige Bundeskanzler als Erzähler seiner eigenen Ge- schichte und der Schauspieler, der dessen Rolle übernimmt? Ist Zapatka der bessere Schmidt? Kann am Ende das Gesicht des Schauspielers das der authen­tischen Person überdecken und beide verlieren an Schärfe? Ich glaube, Helmut Schmidt war nicht der schlechtere Schmidt und Zapatka war nicht der bessere. Schmidt hat eine ziemlich gute Aura in diesem Film. Was Schauspieler oft mühsam herstellen müssen, das hat er. Insofern gab es eine Konkurrenz zwischen den beiden. Aber ich glaube, dass der echte Schmidt dann den Zapatka noch mit Authentizität auf­ laden kann. Im Film ist das Fiktionalisieren historischer Figuren eine Form von Komprimierung und Dramatisierung. Sie brauchen diese Reduzierung. Könnte man aber im Dokumentarfilm mit den authentischen Personen drehen, dann wären mir gerade die Nebensächlichkeiten wichtiger als die Highlights. Geht auf dem Weg vom Dokumentarfilm zum Spielfilm etwas verloren? Oder gewinnt man etwas? Was wären diese Nebensächlich­ keiten? Nebensächlichkeiten, die mir ein möglichst eigenständiges Bild der Person ermöglichen. Die mich heraus- fordern, die Fragmente so zusammen- zusetzen, dass ein eigenes Bild entsteht. Das wäre Arbeit beim Gucken. Eine runde, vollständige Figur kriegt man sowieso nie hin. Sie werden sicher auch festgestellt haben, dass die Gesprächspartner eine Inszenierung von sich mitbringen. Wollen Sie diese Selbstinszenierung eins zu eins weiterreichen? Wollen ­ Sie sie durchbrechen? Oder dem Zu- schauer beides zeigen? Wollen Sie zeigen, was Ihrer Meinung nach das Problem der Person ist? Oder wollen Sie seine Propaganda laufen lassen, mit der er als Politiker, als Terrorist oder als Künstler durch’s Leben geht? Ich glaube, es sind zwei verschiedene Genres, die wie zwei verschiedene Werkzeuge andere Wahrheiten, andere Partikel packen. Die künstlerische, die poetische Methode kann mit ihren Mitteln auch dicht an die Wirklichkeit rankommen. Es kommt immer darauf an, ob Sie wissen, was Sie tun. Das Gedächtnis ist ein lebendes Organ. Das arbeitet ziemlich stark an den Bildern, entwirft meistens schmei­ chelhafte Sachen und lässt vieles weg. Die persönliche Kamera des Lebens verdichtet, und das Gedächtnis ­ar­­beitet auch mit künstlerischen Mit- teln – das müssen Sie durchschauen. Ich erinnere mich fast immer über Bilder an Situationen, egal ob es Erlebnisse aus der Kinderzeit sind oder Ereignisse bei Dreharbeiten. Der erste Schritt der Erinnerung ist das Bild der Situation, nicht die Situation selbst. Wenn ich versuche, mich an meinen Vater zu erinnern, taucht ein Bild in Schwarz- Weiß auf. Wie er auf dem Sofa sitzt. Das mag dann weiterhelfen, sich an die Situation zu erinnern, in der dieses Foto entstanden ist. Insofern denke ich, dass jede Geschichte, die in Bildern erzählt wird, in der Erinnerung zunächst nur auf andere Bilder verweist. Manche Erinnerungen kommen über Töne oder Gerüche, an denen eine sinnliche Wahrnehmung verankert ist. Für mich sind Bilder die stärksten Erinnerungsmittel, sie sind mein ­persönliches Fotoalbum. Wenn ich Fotos sehe, fällt mir die Zeit wieder ein, und ich sehe die Menschen vor mir: Wie wir gekleidet waren, wie wir aussahen. Dann sehe ich die Gürtel- schnalle, meine bollerigen Schuhe, sehe, wie arm und verhungert wir waren. Ich sehe Fotos sehr gerne, wenn sie den Moment getroffen haben und nicht inszeniert sind... wir wollten aber vorhin auf irgendetwas hinaus, was dem Dokumentarischen eine Art höhere Wahrheit zuweisen sollte. Nein, wir waren bei der Fragestel- lung, ob es gelingen kann, dem ­Dokumentarischen eine Form zu geben, die einen ähnlichen Sog wie das Fiktionale entwickelt und mich zudem als Zuschauer so weit herausfordert, das ich nicht nur konsumiere, sondern weiterarbeiten muss an dem Thema, an der Geschichte. Das hängt immer mit der Ausbildung desjenigen zusammen, der die Filme dreht. Jeder Dokumentarfilmer war im Kino. Er wird immer auch Ein­ stellungen verwenden, die er in Spiel- filmen gesehen hat. Weil er seinen ­Figuren eine gewisse Aura mitgeben will, weil er über die Wirkung weiß. Diese ganzen Handwerksmittel ­fließen ein. Ich erinnere mich an eine Einstel- lung, die wir beim „Beil von Wands- bek“ ge­dreht haben. Wir standen im ­Gerichts­saal und sprachen mit der Verlobten des ermordeten Bruno ­Teschke. Ich hatte ihr ein Foto von ihm gegeben und sah ganz nebenbei, wie sie anfing, dieses Foto mit dem Daumen zu streicheln, ganz zart. Der Kameramann sieht dasselbe. Er schwenkt langsam runter, und man sieht, wie sie diesen achtzehnjährigen 21. Juli im Hotel „Bayeri- scher Hof“ in München: Heinrich Breloer ist einen langen, erfolgreichen Weg gegangen vom Dokumen- tarfilm über das Doku­ drama hin zum Spielfilm. Das Gespräch mit Prof. Heiner Stadler findet am Nachmittag vor dem ersten Drehtag zu den „Budden- brooks“ statt, und ein er- staunlich gelassener Bre­ loer nimmt sich alle Zeit der Welt, um über das Inszenieren von Realität nachzudenken.

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