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10:43:09 - HFF MÜNCHEN | KOMPETENZMAGAZIN

Das Studium | HFF 109 Ergänzungsstudiengang Theater-, Film- und Fernsehkritik Prof. Dr. C. Bernd Sucher Assistent und Dozent: Stefan Fischer dozenten: Dr. Petra Simon (Kunstgeschichte, Bühnenbild- und Kostümkunde) / Dr. Fritz Göttler (Filmkritik) / Dr. Beate Kayser (Opernkritik) / Harald Hordych (Reportage) / Claudius Seidl (Filmkritik und politisches Feuilleton) / Patrick Bahners (Essayistik) / Cornelius Esau (Online-Recherche) / Georg SeeSSlen (Radioformate) / Gerhard Jörder (Theaterkritik) / Christine Lemke-Matwey (Opernkritik) u.a.M. t Gelegenheit, fünf esige Theater zu u einer Studenten- im Rahmen eines war. Fünf Abende gen gewidmet, die e, von der Art der d von der Regie- chiedlich. Meiner ese Erfahrung für er den Zustand des n und auch in n aus. Ich werde von dem wieder- habe und von den dabei hatte, die ind von unserer sischen Schule“. pleBeobachtungen, chtungalsgarnicht deutsche Theater nachBesuchdieser uge fielen. Erstens, mehralszweieinhalb gtheit deutscher Zeitabschnitt von unden kann sich fall herausstellen – verständlicher Zug hdenke,einekurze, passtzuderZeit,in asende Leben lässt keineZeitfürlange ophische Kontem- rtderRegisseurdie sie maximal und moderne Mensch den bleiben kann, izuverlieren. eben htung betrifft die efindetinMoskau Aufführungen als ringertdenAbstand ühnenpersonalund rt es Zuschauer am ndderVorstellung. , auch wenn sie der n, streuen dafür die Zuschauers und esPublikumdurch großeBesucherzahl. h fand ich, dass ein f Stundenbasis zu wenn man einen beihaben will. In Glück kaum etwas . Im Gegenteil, die nundentsprechend r unterhalten sich mit Kritikern, um icheKritikzuihrer Das alles sind nur handderermanaber ersimAllgemeinen Sogar in Anbetracht der Unterschied- lichkeitderTheaterschulenunddernationalen Eigenheiten ist es erstaunlich, wie sehr die Meinungen über dieselben Theatervorstel- lungenbeidenrussischenunddendeutschen Studenten auseinandergingen.Von den fünf besuchten Vorstellungen fand ich zwei spannend: IPHIGENIE AUF TAURIS in der Chétouane-Inszenierung und DIE BAKCHEN im Residenztheater. Die erstgenannte Aufführung ist eine körpersprachlich bis in kleinsteEinzelheitendurchdachteWidergabe von Goethes Text in extrem asketischem Rahmenmitüberraschendenundspannenden Ideen wie der Windmaschinenwand auf der Bühne,diedenantikenChordarstellte.Man muss gar kein Freund davon sein, das körpersprachlicheAusdrucksmusterderRolle beobachtend nachvollziehen zu wollen, trotzdem liegen die Schlussfolgerungen klar auf der Hand – von der Ernsthaftigkeit des Verfahrens,überdieniveauvolleRegieführung bis hin zur Intellektualität der Autoren der Aufführung. Wenn auch letztendlich der BerufdesKritikerspersönlicheVoreingenom- menheiten und Vorlieben nicht ausschließt undineinemgewissenSinnedasInteressante anjedemArtikelseineSubjektivitätist,sogibt es doch auch Dinge, die so deutlich hervor- treten,dasssieeinfachunübersehbarsind. Die Aufführung der BAKCHEN fesselte meine Aufmerksamkeit vor allem durch den überausspannenden,originellen Rhythmus. Als die Bakchendarstellerinnen für den Zuschauer noch unsichtbar waren und noch unklar war, woher die Geräusche kamen, schien der Klangteppich des Stampfens mit den Thyrsosstäben mit seinem irgendwie phantastisch anmutenden Rhythmus so organisch zu sein wie die Geräusche realer Berge, Lawinen und Erdbeben. Dazu kam das Licht, das in der Aufführung äußerst interessant gestaltet ist (man wird mir zugeben, dass man diesen Teil einer Bühnenschau meist nicht beachtet), mit seiner Hilfe und mithilfe relativ simpler bühnenbildnerischer Lösungen erhält der Bühnenraum realeTiefe und Dimension, es entsteht die vollständige Illusion eines Gebäudes der Antike mit seinen hohen Decken, luftig und lichtdurchflutet. Man kann die schauspielerische Leistung von Jens Harzer sicher unterschiedlich beurteilen, möglicherweise sind deutsche Zuschauer und Kritiker, die öfter Gelegenheit haben, ihn auf der Bühne zu sehen, der Spezifität und Individualität des Schauspielers müde, aber auf mich, die ich ihn zum ersten Mal sah, machte er einen großartigen Eindruck. Seine Rollen in den BAKCHEN und in der Aufführung nach Botho Strauß’ Stück DIE EINE UND DIE ANDERE sind ganz anders ausgeformt. Natürlich gibt es manche Einzelheiten, die sich in beiden Aufführungen wiederfinden, zum Beispiel eine besondere Art und Weise, den Rücken zu krümmen oder individuelle Besonderheiten der Stimmgebung, aber auffallend und überzeugend ist der jeweils andere Zugang zur Rolle. Unsere Kursleiterin nannte die AufführungsartvonDIE EINE UND DIE ANDERE „entreprisehaft“.DiesesWortisthiernichtganz inseinemeigentlichenSinnegebraucht,daein Entreprise in Russland ein absolut kommerzielles Projekt ist. Wir in Moskau benutzen diesen Begriff negativ gefärbt oder ironisch, da die Macher solcher Projekte oft weder Bezug zur Kunst noch eine entsprechendeAusbildunghaben.Icherkläre das hier nur deshalb, weil im gegebenen Fall nur eines der definierenden Elemente dieses Begriffs zutrifft – nämlich die Benefiziarität, also die Inszenierung einer Vorstellung für einenSchauspieler,aufeinenSchauspielerhin. UndleiderglückensolcheInszenierungenoft garnicht. Ernste Zeiten Die Aufführung von DIE EINE UND DIE ANDERE ist aber nicht missglückt. So schneidet die dramatische Grundlage untypische Probleme an, eine Sicht auf die Welt unter dem ganz speziellen Gesichtspunkt von physiologischen Problemen, und dabei kommt sie zu unerwarteten Schlussfolgerungen über die heutige Welt. Und die Schauspieler in der Aufführung sind gut, wobei sie aber – und hier ist ein Manko – unterschiedliche Dinge mit ihrem Spiel meinen. Und das schlägt sich im Ergebnis nieder: Jens Harzer und zumTeil seine Partnerin nehmen dasThema der heutigen Zeit ernst. Für die anderen Schauspieler ist das aber nur ein Benefiz, also eine Ehrenvorstellung für zwei Schauspielerinnen. Dazu kommt noch, dass manche Elemente der Aufführung einer ernstzunehmenden Motivation entbehren und nur auf simpleste Zuschauerreaktionen aus sind, wobei sie durch ihre Dummheit und Primitivität unangenehm berühren (zum Beispiel das Hinausfahren des Autos). Die Aufführung VIEL LÄRM UM NICHTS amVolkstheaterhabeichschoninMünchen kommentiert,wiederholemichjetztalso.Der Gedankengang war in etwa folgender: So interessantderEinfallauchist,eineKomödie Shakespeares in Kusturica-Ästhetik zu inszenieren, die Idee war zum Scheitern verurteilt. Ganz offensichtlich gelang es dem Regisseur der Aufführung durchaus, die grundlegenden formalen Aufgaben zu lösen, es gelang ihm aber schlicht und ergreifend nicht, die Anwendung diesesVerfahrens (ein Einfall des Dramaturgen Kilian Engels, wie sich später herausstellte) ernsthaft zu motivieren; stattdessen ließ er sich hinreißen von der Stilistik, der visuellen Reihe der Aufführung und vergaß, dass für eine ernsthafte Aufführung die Form auch mit Inhalt zu füllen ist. Maria Nikitina Übersetzung:TomKraft Russische Impressionen I: Moskauer denten über das Münchner Theater r Rhythmus, wo ich mit muss Reale Tiefe und Dimension: Jens Harzer in den BAKCHEN am Residenztheater. Foto: Dashuber cult Seite 27 Der Kolumnist Max Goldt ist zu bedauern – da man annehmen muss, dass er überwiegend zuhause arbeitet und dass die Erfahrungen, von denen er in seinen Texten berichtet, im Kern eigene sind. Demnach wäre Goldt ein Prokrastinierer. „Unter sozialer Kontrolle ist er schnell, geschmeidig und effizient“, beschreibt Goldt diesen Typus. Sich selbst überlassen, würden ihn jedoch die einschlägigen Symptome befallen. „Der Begriff bezeichnet ein nicht zeitmangelbedingtes, aber umso qualvolleres Aufschieben dringlicher Arbeiten in Verbindung mit manischer Selbstablenkung, undzwarunterInkaufnahmeabsehbarerund gewichtiger Nachteile.“ Goldt schildert diese Nachteile in einem der 22 Texte, die er in dem Band QQ versammelt hat. Nun, wo die Geschichte gedruckt vorliegt, also den prokrastischen Hemmnissen abgetrotzt ist, liest sich das natürlich sehr vergnüglich. Sie offenbart sich als Schlüsseltext. Denn die Kolumnen sind allesamt nicht erst für QQ entstanden, sondern durchweg im Verlauf der vergangenen beiden Jahre in der Satirezeitschrift TITANIC veröffentlicht worden. Er hat die Musik von deutschen Fernsehfilmen seziert, eine Verteidigungsschrift für Tomaten verfasst und das für und wider der Einführung eines Masermontags abgewogen. Wer sich dieser ersten Fassungen erinnert, erkennt, welche „absehbaren und gewichtigen Nachteile“ diese Blockade mit sich bringt, wenn es sich bei dem Leidtragenden um einen Schriftsteller handelt: Letztlich kommt er immer zu einem Abschluss, und im Falle Goldts sind die Texte auch durchweg der Veröffentlichung wert. Aber fertig sind sie nicht. In QQ hat Max Goldt also zu einem besseren Ende gebracht, was der Redaktionsschluss der TITANIC in einem Provisorium belassen hat. Die Kolumnen sind für diese Buchausgabe von Goldt zum Teil kräftig überarbeitet. Da nun davon auszugehen ist, dass auch bei dieser Arbeit die Mechanismen der Prokrastination gegriffen haben, darf man sich angesichts des erreichten Niveaus schon heute auf eine Werkausgabe freuen, die Max Goldt hoffentlich dereinst angehen wird. QQ, dies erläutert ein knappes Vorwort, steht für quiet quality, für stille Güte. Für all das also, „was nicht schreit und spritzt“. Da Max Goldt in einigen Texten medienkritisch argumentiert, steht ihm dieser Duktus umso besser an. Aber auch für die Würdigung abseitiger Phänomene, die Gegenstand vieler Kolumnen sind, bedarf es jener stillen Güte. So überzeugt Max Goldt ein ums andere Mal, dass es auch im Schnöden oder Nervigen etwas Schönes oder Angenehmes zu entdecken gibt. Als ein Höhepunkt innerhalb von QQ muss da die PREISUNG DER GROTESKEN DAME genannt werden. Stefan Fischer Max Goldt: QQ. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2007. 160 Seiten, 17,90 Euro. Der Untertitel klingt vermessen: Die Seele Romy Schneiders möchte Johannes Thiele in seinem Prachtband über die vor 25 Jahren verstorbene Schauspielerin sichtbar machen, neben ihren Filmen, ihrem Leben. Die Filme fassbar zu machen, das scheint noch am leichtesten möglich – doch um sie geht es beinahe am wenigsten in ROMY SCHNEIDER. IHRE FILME. IHR LEBEN. IHRE SEELE. Nur insoweit, als sie für Romy Schneiders Persönlichkeit, für ihre Hoff-nungen und Träume, für ihre Entkräftung wichtig waren. Johannes Thiele sucht nach dem Menschen hinter dem Star – in den vielen literatur Der Glückssucher Hans Traxler illustriert Eichendorffs AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS Max Goldt hat seine TITANIC-Kolumnen überarbeitet Stille Güte Tagebuchaufzeichnungen, die von Romy Schneider vorliegen, und in den Aussagen von Kollegen und Freunden. Nur wo es das Verständnis der Zusammenhänge erfordert undindenkurzenKapitelein-leitungengreift Johannes Thiele selbst ein in die Ausdeutung von Schneiders Charakter. Dieses Verfahren bringt Redun-danzen mit sich und Widersprüche. Es ist aber ein aufrichtiges. „Sie war ein Instinkt-mensch und sie konnte nicht analysieren“, hat der Schauspieler Bertrand Tavernier über Romy Schneider gesagt. Und so soll auch dieses Buch keine (Psycho-)Analyse liefern, sondern sich instinktiv dieser großartigen Schauspielerin nähern. Gehalt bekommen viele Aussagen ohnehin erst, wenn sie sich in den sorgsam ausgewählten Fotografien spiegeln – mehr als alles, was sich über Romy Schneider sagen ließe, kann man aus diesen Aufnahmen ablesen. „Ich habe vor nichts auf der Welt Angst“, hat sie einmal in ihr Tagebuch geschrieben. „Nur vor mir.“ sfi Johannes Thiele: ROMY SCHNEIDER. IHRE FILME. IHR LEBEN. IHRE SEELE. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2007, 320 Seiten, 49,90 Euro. Romy Schneider in bestechenden Bildern GewissistjedederbeidenFigurenaufihreWeise vollkommen oder jedenfalls eigen-ständig genug, um ohne ein zweites Selbst durch die Welt zu finden. Und doch hat es einen eigentümlichen Reiz, Joseph von Eichendorffs NovelleAUS DEMLEBEN EINESTAUGENICHTSund Heinrich Heines Versepos DEUTSCHLAND. EIN WINTERMÄRCHEN zusam-men zu lesen. Also Eichendorffs deutschen Taugenichts, der 1826 naiv in die Welt hinauszieht, um sein Glück zu machen, in ein Verhältnis zu setzen zu Heines alter ego, das 1844 zurückkehrt in die rechtsrheini-sche Heimat und zusehen muss, wie es sich zurecht findet nach Jahren fremder Prägung. Beide Texte sind satirisch und wohl des- halb von Interesse für den Zeichner und Sati- riker Hans Traxler, der seinerzeit sowohl PAR- DON als auch TITANIC mitbegründet hat. Im vergangenen Jahr hat er Heines WINTER- MÄRCHEN illustriert, und nun also Eichendorffs Persiflage auf den Bildungsroman. Auch der TraxlerscheTaugenichtsisteinefürdenZeichner typische Figur: Im Idealfall sind ihre Konturen aus nur zwei, drei Strichen gezogen, ihre DynamikgewinntsieausdenSchwüngendieser Linien, die sich über die Umrisse der Figur hinausoftfortsetzenindenHutoderdieGeige, die der Taugenichts spielt. Zwanzig Blätter hat Hans Traxler für dieses bibliophile Bändchen gezeichnet, nur Instinkt auf einem ist derTaugenichts nicht zu sehen. Wir dürfen ihn in der Kutsche vermuten, dievomunterenBildrandherAnlaufnimmt, um durch ein wildromantisches italienisches Nachtgrau hindurch den bizarren Burgfelsen vor sich zu erklimmen. Diese Illustration findet sich recht genau in der Mitte der Geschichte, sie markiert einen Wendepunkt: DerTaugenichtsistindiesemMomentseines Abenteuers, seiner Ich- und Glücks-Suche, am wenigsten Herr seiner selbst; er ist als Figur nicht mehr greifbar für den Leser, also auch nicht mehr sichtbar auf Traxlers Bild. Ansonsten hat ihn Hans Traxler stets ins Zentrum gerückt. Selbst auf jenem Bild, auf dem er verschämt beiseite steht mit einem Blumenstrauß in der Hand und sich nicht indenVordergrundgetrautvordasAngesicht seiner Angebeteten, oder auf jener früheren Ansicht, die ihn im Schatten einer Baumkrone von hinten zeigt als Voyeur einer Ballszene. Besonders deutlich wird Traxlers Kunst der Blickführung auf der abgebildeten Szene,inderderTaugenichtsaufwenigmehr als seinen halben Kopf reduziert ist und doch alle Linien, alle Achsen auf ihn hinführen. Traxler hat in all seinen Illustrationen weniger die Handlung im Blick als vielmehr die Gemütszustände der Hauptfigur. Er zeigt den Taugenichts übermütig und niederge- schlagen,galantundperplex,melancholischund saumselig. Er drückt das mit minimalis-tischen MittelninderMimikaus, deutlicherabernoch in der Körperhaltung. Und selten strahlen die Farben Grau, Braun und Grün so viel Wärme aus wie hier. Stefan Fischer Joseph von Eichendorff: AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS. Illustriert von Hans Traxler. Reclam Verlag, Stuttgart 2007. 150 Seiten, 16,90 Euro. Romy Schneider. Foto: Sunset Boulevard/Corbis cult Ein Rattern und Rumpeln hallt durch das Dunkel, schemenhaft lassen sich die Umrisse eines Güterzugs erkennen. Die Fahrt verlangsamt sich, schließlich kommt er an einem Bahnsteig zu stehen. Nach und nach füllt sich der Bahnsteig mit Menschen, die kurz zuvor noch in den einzelnen Waggons zusammengepfercht waren: vereinzelte Gestalten jeglichen Alters und ganze Familien. Einige tragen Bündel und Taschen in den Händen, stellen ihr Gepäck neben sich auf den Boden, verunsichert und verängstigt durch die Gegenwart uni- formierter Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag, einem Schäferhund an der Leine. Schnitt. Morgengrauen: ein kahl geschorenerManningestreifterKleidung,dieder eines Strafgefangenen gleicht, in der Hand einen Besen. Ein zweiter Mann mit einer Schubkarre kommthinzu.DerHof,aufdemsiesichzudieser frühen Stunde einfinden, ist kein normaler Hof: Von einem meterhohen Zaun aus Stacheldraht umgrenzt, unterliegt jeder Winkel des Areals der KontrolleschwerbewaffneterAufsichtsposten,die jede verdächtige Bewegung in Alarmbereitschaft versetzt. Der Hof füllt sich mit ausgemergelten Gestaltenindergleichenschwarz-weißgestreiften Kluft, zusammengetrieben um einem makabren Schauspiel beizuwohnen: der Hinrichtung dreier Mitgefangener. Ein Stoß und die Körper hängen nach einem kurzen Zucken leblos in der Luft. Ausgehungerte, geschundene Gefangene hinter Stacheldraht, schwarz-weiße Sträflingskleidung, hölzerne Pritschen in kärglichen Unterkünften, Duschen, die den Tod bringen: erschreckende Bilder und Motive, die seltsam vertraut vorkommen, die man schon irgendwo gesehen hat. Doch etwas ist anders – denn die Gestalten, diehiergeschlagen,gequält,jederWürdeberaubt und ermordet werden, als auch ihre Folterer und Mörder: sie sind keine Menschen, sondern Puppen! KAMP – CAMP heißt das neueste Stück des holländischen Figurentheaterkollektivs Hotel Modern,inwelchemsiesichmitdemdunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen, für das ein einziger Name zum Synonym kaumgrößeralsSpielzeugsind.Dieeinzelnen Etappen der Vernichtung – nachgestellt mit hunderten von kleinen Tonfiguren. Auschwitz, der Holocaust – ein Spiel mit Puppen?EineProvokation?EinSkandal?Das Publikum im Erlanger Redoutensaal folgt gebanntderknappeinstündigenInszenierung, spendet nach einem kurzen Moment des Innehaltens Applaus. Äußerungen mora- lischerEntrüstungodergarlautstarkerProtest bleiben aus. Hotel Modern, ein 1996 von zwei ehemaligen Kommilitoninnen an der Schauspielschule in Arnheim, Arlène Hoornweg und Pauline Kalker, gegründetes Theaterkollektiv, zeichnet sich neben der ungewöhnlichen Weise, dramatische und bildende Kunst, Objekttheater, Musik und Film zu einer Art Gesamtkunstwerk zu verbinden, vor allem durch einen beein- druckenden Wagemut bei der Wahl ihrer Themen und Inhalte aus. So findet sich etwa neben der aktuellen Produktion KAMP auch eine Auseinandersetzung mit den Gescheh- nissen vom 11. September 2001, festgehalten in dem viereinhalb Minuten langenTrickfilm HISTORY OF THE WORLD, PART ELEVEN (zu sehen unter: www.hotelmodern.nl). Darin sieht man ein Spielzeugflugzeug, das zu den KlängenvonDavidBowiesHEROES übereine Tetra-Pak-Metropole fliegt, um kurz darauf – auch hier mag man seinen Augen zunächst kaum glauben – in einen der Miniatur- wolkenkratzer zu stürzen. Das Gebäude geht inFlammenauf,brichtinsichzusammenund wird zur Todesfalle für die, die sich in seinem Inneren befinden. Dabei wechseln im Film ständigdiePerspektiven,malwirddasEreignis aus der Flugzeugperspektive, mal aus der Innenperspektive des Gebäudes, mal in der Außensicht gezeigt. Die Tatsache, dass Hotel Modern ihren Film am Ende in einen politischenKommentarmündenlassen,zeugt von einer Ernsthaftigkeit, die von rein formeller Spielerei weit entfernt ist. Hatten die ersten Produktionen von Hotel Modern wie STUCK (1997) und eine Entwicklung ein, die zum einen von der Auseinandersetzung mit der konkreten Wirklichkeit, zum anderen von der Aneignung fiktiverStoffegeprägtist.Diesemündeteinteils stille,poetische,teilssurrealanmutende,zuweilen aberauchbedrückendemultimedialeStückewie CITY NOW (1998), die Shakespeare-Adaption LEAR’S EYE (2003) oder die überdrehte Revue THE MAN WITH FIVE FINGERS (2005). Einen bedeutenden Markstein in Konzeption, Inhalt und Umsetzung stellt das im Jahr 2000 uraufgeführte Stück THE GREAT WAR dar, das erste Projekt, für das Hotel Modern ihre einzigartige Form des „live animation film“ entwickelt und sogleich perfektioniert haben: Miniaturmodelle respektive -sets, bevölkert von biszutausenden,nurwenigeZentimetergroßen Figuren, die von Menschenhand positioniert undbewegtwerden,mutierendurchdenEinsatz digitaler Kameras auf Leinwand projiziert zu imposantenSchlachtenpanoramen(THE GREAT WAR), verwirrenden Großstadtdschungeln (CITY NOW) oder erschreckenden Todeslagern (KAMP) – etwas, das mit Schauspielern auf einer gewöhnlichen Theaterbühne niemals möglich wäre. Durch den kunstvollen Einsatz dezidiert filmischer Mittel (Montage, Einstellungs- wechsel, Kamerafahrt, usw.) entsteht auf der Leinwand im Bühnenhintergrund ein Live- Trickfilm,dessenDreharbeitenmanunmittelbar verfolgenkann.Dasheißt:dieProduktionsmittel bleiben stets transparent, die Puppenspieler, ähnlich wie im japanischen Bunraku-Theater, das ganze Stück über präsent. InTHEGREATWARentfaltetdieseTechnik, die von da an fester Bestandteil aller Hotel- Modern-Inszenierungen bleiben wird, ihre ganze poetische Kraft: Im Halbdunkel der Bühne, durch den transformierenden Blick der von einem der Puppenspieler geführten Mini- kamera entsteht ein bewegendes Bild vom Geschehen in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges, dargestellt mit winzigen Soldaten- figuren, die auf der Leinwand beinahe zu Menschengröße anwachsen. Grundlage und dramaturgischen Faden bilden hierbei die authentischen Briefe eines jungen französischen Geräuschemacher erzeugten Soundtrack entsteht aus den einzelnen Elementen ein eindrückliches Werk, in dem das zerstörerische Spektakel der hochtechnisierten Kriegs- maschinerie neben stillen Momenten der Ungewissheit, des Ausharrens im vom Regen in einen finsteren Morast verwandelten Graben Platz findet. KAMP stellt in gewissem Sinne die logische Fortsetzung von THE GREAT WAR dar, befasst sich dieses Stück doch mit Ereignissen aus dem Zweiten Weltkrieg, genauer: dem finstersten Abgrund dieser an persönlichen und kollektiven Tragödien und Leidenserfahrungen nicht armen Zeit. Nämlich der industriellen Tötung von Millionen Menschen in den national- sozialistischen Konzentrationslagern. Im Vergleich zu THE GREAT WAR fällt sofort die bewusste Reduktion, die wohlüberlegte Dosierung der über die Jahre entwickelten technischen Mittel auf. So wird komplett auf erzählende oder kommentierende Worte verzichtet,alshättedieUngeheuerlichkeitder damaligen Geschehnisse die Theatermacher buchstäblich verstummen lassen (siehe nebenstehendes Interview). Ebenso wird jegliche zusätzliche Dramatisierung oder Emotionalisierung der historisch verbürgten Geschehnisse konsequent vermieden: keine FabeletwavomdeutschenGroßindustriellen, der wider Willen zum Helden, zum Retter mehrerer hundert zum grausamen Tod Verurteilter wird, wie sie etwa Steven Spielberg in SCHINDLERS LISTE erzählt; oder ein kindlich-naiver Blick, der wie in Benignis DAS LEBEN IST SCHÖN die harte Realität im Lager poetisch bricht. Übrig bleibt stattdessen etwas, das sich wie ein audiovisuelles Destillat vorhandener Bild- und Text-Dokumente über Auschwitz beschreiben ließe, wie etwa die für das wissende Auge zynische Botschaft „Arbeit macht frei“ in großen Lettern über dem Eingangstor. Die einzige Dramaturgie, die sichinKAMP findenlässt,istdieineinerReihe von Einzelszenen komprimierte, gewaltsame figurentheater Die logische Fortsetzung Hotel Modern hat Massenszenen im Figurentheater erfunden – und wagt sich an ein Auschwitz-Stück Zug um Zug bewegen die Spieler die vielen hundert Figuren. Die Zuschauer haben die Wahl, ob sie dem Geschehen auf der Bühne folgen oder der Filmübertragung. Fotos: van Velzen cult cult:cult: Fliegende Engel: Wim Wenders’ DER HIMMEL ÜBER BERLIN kommt wieder in die Kinos. Ein Gespräch über alte Zeiten Seiten 6/7 Gefangene Puppen: Beim Erlanger Figurentheater-Festival zeigt die holländische Gruppe Hotel Modern ein Stück über Auschwitz Seiten 8/9 Hechelnde Monster: Wien wird seinem morbiden Charme gerecht mit einem Symposium über die Ästhetik des Horrors Seiten 14/15 KULTURZEITUNG DER BAYERISCHEN THEATERAKADEMIE Nr. 33, Juni/Juli 2007 Es gibt Berufe, die man als Quereinsteiger nicht ausüben kann, die eine fest umrissene, zeitaufwändige, oft mühselige Ausbildung voraussetzen. Für den, der Richter oder Arzt werden möchte, führt kein Weg am universitären Fachstudium vorbei, wer einen Friseursalon eröffnen will, kann dies nur beim Nachweis der nötigen Qualifikationen. Doch wie sieht es bei den Theaterregisseuren aus? Hier denkt man weniger an Beruf als an Berufung, im unbegrenzten Feld der freien Kreativitätsentfaltung scheint eine nach Regeln und Semestern ablaufende Ausbildung eher paradox, fast kontraproduktiv. Würde nicht auch die Vorstellung eines studierten Regisseurs viel vom Nimbus des unabhängigen Künstlers zerstören? Zwar sind andere künstlerische Studiengänge wie Komposition oder Malerei bekannt und akzeptiert. Doch sind sie auch auf eine spezielle Eigenbegabung des Studenten abgestimmt. Was ein Regisseur mitbringen muss, ist wesentlich schwieriger in Worte und Ausbildungspläne zu fassen. Dennoch gibt es sie, die Regiehochschulen, an denen junge Menschen, die Theaterstücke inszenieren wollen, ihr Handwerk lernen können. In Deutschland sind es derzeit acht staatliche Einrichtungen, die einen Studiengang Regie anbieten – und das seit einigen Jahren. Grob gesagt arbeitet heute kaum noch ein nach 1970 geborener Regisseur an einer überregional beachteten Bühne, der sein Rüstzeug fürs Theater nicht auf einer jener Hochschulen mit auf den Weg bekommen hätte. Die Zeiten, in denen man sich mühselig durch Hospitanzen und Regieassistenzen quälen musste, um eines Tages auf irgendeiner Studiobühne seine erste eigene, von Publikum kaum beachtete Regiearbeit zeigen zu können, sind vorbei. Begabte Hochschulabsolventen werden heutzutage direkt nach dem Diplom an den ersten Häuser verpflichtet, dafür sorgteinbreiterFörderrahmen.Werzielstrebigarbeitet,schon zu Studienzeiten seine Regieprojekte bei Nachwuchsfestivals lancierenkann,sahntab–wieDavidBösch,derseineKarriere vor wenigen Jahren mit einem Preis beim Körber Studio Junge Regie begonnen hatte, heute am Thalia Theater und am Züricher Schauspielhaus inszeniert und regelmäßig zu Festivals eingeladen wird. Stichwort Körber Studio: Die alljährlich in Hamburg stattfindende Leistungsschau präsentiert ausgewählte Inszenierungen deutschsprachiger Regiehochschulen von Zürich bis Berlin. Nicht nur für David Bösch ein Sprungbrettfestival, auch andere Talente wie Jorinde Dröse oder Roger Vontobel konnten sich hier zum ersten Mal über den geschützten Raum ihrer Ausbildungsstätten hinaus eine größere Aufmerksamkeit verschaffen. Neben der Öffentlichkeitswirkung und der Preisvergabe – die Einladung, eine Inszenierung an einem deutschsprachigen Staats- oder Stadttheater herauszubringen – gibt das von der UniversitätHamburgundderinHamburgansässigenKörber Stiftung ins Leben gerufene Festival den jungen Regisseuren die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und den meist aus fachlichem Interesse angereisten Besuchern einen Eindruck von der Ausbildungssituation an den Regieschulen zu vermitteln. Hier werden Trends gesetzt, weitergeführt kann man sie bei anderen Festivals beobachten, die sich dem Schaffen junger Regisseure widmen. Bei Radikal jung etwa. Zum dritten Mal wurde das Festival in diesem Jahr vom Münchner Volkstheater durchgeführt. Eine dreiköpfige Jury hatte aus einer Vielzahl von Inszenierungen, deren Regisseure die dreißig nicht oder kaum überschrittenhaben,dieneunbestenausgesuchtundeingeladen. Im Unterschied zum „Körber Studio“ werden hier keine Studienproduktionen gezeigt, sondern Regiearbeiten, die den Weg auf die große Bühne bereits gefunden haben. Und es sind immer dieselben Namen, die im Programmheft auftauchen: David Bösch eben, der in der vergangenen Ausgabe bereits zum dritten Mal vertreten war, Roger Vontobel, diesmal immerhin zum zweiten Mal dabei, oder die Österreicherin Christine Eder, die letztes Jahr mit ANTIGONE ihren Einstand bei Radikal jung gegeben hatte. Seine Festivalpremiere lieferte, mit Shakespeares OTHELLO,derThüringerTilmannKöhler,AbsolventderBerliner „Ernst-Busch-Hochschule“. Ein Siebenundzwanzigjähriger, der aber bereits jetzt schon als Hausregisseur in Weimar angestellt ist und in dieser Funktion bereits etliche Inszenierungen für das Theater erarbeitet hat. Eine davon, Ferdinand Bruckners KRANKHEIT DER JUGEND, war beim diesjährigen Theatertreffen in Berlin zu sehen. Fortsetzung auf Seite 2 Diplom fürs Stadttheater Wer an großen Häusern inszenieren möchte, kommt um ein Regiestudium kaum mehr herum. Tilmann Köhler ist eine dieser jungen Begabungen, er ist bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden. Seine OTHELLO- Inszenierung am Nationaltheater Weimar war in München bei Radikal jung zu sehen. Foto: Bergmann Junge Regisseure lernen ihr Handwerk heutzutage häufiger an der Hochschule als am Theater „Ich bin immer sehr unbekümmert.“ Wie bitte? Nach einem fast zweistündigen Gespräch mit Paula Kalenberg in einem Berliner Café klingt dieser Satz seltsam. Die 20-Jährige Schauspielerin hat zuvor oft sehr vorsichtig nach Antworten gesucht. Oft vergewissert sie sich: Hat man sie nun richtig verstanden? Hat sie die Frage zufriedenstellend beantwortet? Sie denkt offensichtlich viel nach: übers Spielen, über Politik, über die Medien. Bei der Gedankenarbeit sind ihre Hände ständig in Bewegung, zerlegen langsam aber stetig eine Papierserviette, und als sie einmal recht lebhaft nach den richtigen Worten sucht, geht ihr versehentlich ein Wasserglas zu Bruch. Nun gut, der Satz mit der Unbekümmertheit war von Paula Kalenberg auf ihr Spiel gemünzt. Und ihre beiden großen Rollen als Luise Millerin in Leander Haußmanns KABALE UND LIEBE-Verfilmung und als Super- GAU-Opfer Hannah in Gregor Schnitzlers DIE WOLKE zeichnet tatsächlich eine bemerkenswerte Natürlichkeit und Frische aus. Doch irrt, wer den Erfolg der jungen Frau allein auf diese beiden Eigenschaften zurückführt. Hannahs Heldenreise Paula Kalenberg hat sich in den vergangenen sechs Jahren stetig weiterentwickelt und immer wieder mit ihrer Vielseitigkeit geglänzt. Hannahs Heldenreise in DIE WOLKE sticht dabei besonders hervor. Sie verlangte den Wandel von der unbeschwerten Schülerin zur Kämpferin, die ihr Liebesglück auch nach der atomaren Katastrophe nicht aufgeben will. Paula Kalenberg ließ sich die Haare abrasieren und überzeugte auf ganzer Linie. Verblüffend souverän gelang es ihr, bei ihrem Kinodebüt Schmerz und Leid ebenso eindringlich zu vermitteln wie Hoffnung und Lebensfreude. Paula Kalenberg scheut davor zurück, sich selbst als Fighterin zu sehen. Sie formuliert es vorsichtiger: „Ich habe etwas von dem Mut Hannahs für mich persönlich mitgenommen.“ Die zögerliche Art der Schauspielerin täuscht darüber hinweg, dass sie es durchaus auch versteht, die Initiative zu ergreifen. So geschehen am Anfang ihrer Karriere. Mit 14 folgte sie einem Casting- Aufruf im Radio. Heimlich. Aus Angst vorm Scheitern hatte sie niemandem davon erzählt, ihre Mutter erfuhr es erst, als eine Einladung statt der befürchteten Absage kam. Die Kölner Schauspiel- Agentur, die Paula Kalenberg damals entdeckte, vermittelte ihr kurz darauf die Titelrolle des ZDF-Entführungsdramas HANNA, WO BIST DU?. Das TV-Debüt als jüngste Tochter einer Familie in der Krise glückte. Zum Dreh nach Prag ist sie damals allein gefahren. Sie wollte von vornherein falsche Eindrücke vermeiden. Etwa, dass ihre Mutter im Hintergrund Karrierefäden spinnt. Vielleicht war das auch ein früher Versuch des Einzelkinds, nicht in eine Püppchen-Schublade gesteckt zu werden. Könnte ja passieren bei 156 Zentimetern Körpergröße, zierlicher Figur und hübschem Schmollmund. Die Frage ist, was man daraus macht. Paula Kalenberg setzte mit dem 2002 abgedrehten TATORT: BERMUDA einen besonders starken Kontrapunkt. „Es gab Momente, in denen hat Leander einfach Musik laut aufgedreht und ‚Tanzt!’ gebrüllt. Da blieb mir glücklicherweise nicht die Zeit, mich in irgendwelchen Gedankenkonstrukten zu verheddern.“ Vor KABALE UND LIEBE hatte Paula Kalenberg die Schauspielerei vor allem als Chance begriffen, anderen etwas mitzuteilen. In der Klassiker- VerfilmunghattesiezumerstenMaldasGefühl, selber beschenkt zu werden. Näher als die obrigkeitshörige Luise war ihr freilich Hannah aus DIE WOLKE. In den InterviewszudemÖko-Dramafielauf,wiesehr Die Beschenkte WAS AM ENDE ZÄHLT: Die 20-jährige Paula Kalenberg ist eine nachde Sie spielt hier das Heimkind Winnie, das in das Visier der Kölner Kommissare gerät, weil es durch den gewaltsamen Tod der Mutter Millionärin wird. Man bekommt diese Winnie nicht zu fassen. Mit blassgeschminktem Gesicht und tiefrotem Lippenstift schwebt sie zwischen Todesengel, Lolita und armem Seelchen. Der TATORT war bereits ihre fünfte Fernsehrolle innerhalb von zwei Jahren. Paula Kalenberg,dieerstvorkurzemvonBielefeldnach Berlin gezogen ist, ist parallel zu ihrer Zeit auf der Waldorfschule dran geblieben am Schauspielerberuf.DasVerhältniszuihrenersten Rollen beschreibt sie als eher nüchtern. Erst bei KABALE UND LIEBE, gedreht zum Schiller-Jahr 2005,habesieesgeschafft,„beimSpielenrichtig loszulassen. Hier habe ich die Schauspielerei lieben gelernt.“ Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete der Regisseur Leander Haußmann. die Positionierung gegen Atomenergie ein persönliches Anliegen der Schauspielerin ist. AuchzumIrak-Kriegwolltesienichtschweigen, ging2002mitProtestschildaufdieStraße.Drei JahrespätersprichtsiederSTERN daraufan.Ihre Antwort: „Im Nachhinein betrachtet, wurde diese Bewegung instrumentalisiert und ausgeschlachtet, bis eigentlich nur noch ein hohler Polittrend übrig blieb. Vielleicht ein Problem aller Jugendbewegungen?“ Da ist sie wieder, diese Tendenz zum Hinterfragen, zur Reflexion. Paula Kalenberg, die 2006 mit dem „New Faces“-Award der BUNTE ausgezeichnet wurde, gibt sich auch keinen Illusionen über ihr Bild in den Medien hin. „Anfangs hatte ich Probleme damit, mich davon zu distanzieren, dass dieses Bild zu hundert Prozent mit meiner Persönlichkeit übereinstimmen muss.“ Püppchen? Denkste! Paula Kalenberg mag keinen Etikettenschwindel. Ein Rattern und Rumpeln hallt durch das Dunkel, schemenhaft lassen sich die Umrisse eines Güterzugs erkennen. Die Fahrt verlangsamt sich, schließlich kommt er an einem Bahnsteig zu stehen. Nach und nach füllt sich der Bahnsteig mit Menschen, die kurz zuvor noch in den einzelnen Waggons zusammengepfercht waren: kaumgrößeralsSpielzeugsind.Dieeinzelnen Etappen der Vernichtung – nachgestellt mit hunderten von kleinen Tonfiguren. Auschwitz, der Holocaust – ein Spiel mit Puppen?EineProvokation?EinSkandal?Das Publikum im Erlanger Redoutensaal folgt gebanntderknappeinstündigenInszenierung, spendet nach einem kurzen Moment des Innehaltens Applaus. Äußerungen mora- Die logische Hotel Modern hat Massenszenen im Figurentheater Zug um Zug bewegen die Spieler die vielen hundert Figuren. Die Zuschauer haben die Wahl, ob s „Immer wieder dieselben zwei Fragen: Kann man lernen, Kunstwerke zu kritisieren? Kann man diese Fähigkeit lehren? Die Antworten: Zweimal ein entschiedenes Ja! Kritik – also die Kunst der Unterscheidung – lässt sich lernen und lehren.“ Prof. Dr. C. Bernd Sucher cult cult:cult: Fliegende Engel: Wim Wenders’ DER HIMMEL ÜBER BERLIN kommt wieder in die Kinos. Ein Gespräch über alte Zeiten Seiten 6/7 Gefangene Puppen: Beim Erlanger Figurentheater-Festival zeigt die holländische Gruppe Hotel Modern ein Stück über Auschwitz Seiten 8/9 Hechelnde Monster: Wien wird seinem morbiden Charme gerecht mit einem Symposium über die Ästhetik des Horrors Seiten 14/15 KULTURZEITUNG DER BAYERISCHEN THEATERAKADEMIE Nr. 33, Juni/Juli 2007 Es gibt Berufe, die man als Quereinsteiger nicht ausüben kann, die eine fest umrissene, zeitaufwändige, oft mühselige Ausbildung voraussetzen. Für den, der Richter oder Arzt werden möchte, führt kein Weg am universitären Fachstudium vorbei, wer einen Friseursalon eröffnen will, kann dies nur beim Nachweis der nötigen Qualifikationen. Doch wie sieht es bei den Theaterregisseuren aus? Hier denkt man weniger an Beruf als an Berufung, im unbegrenzten Feld der freien Kreativitätsentfaltung scheint eine nach Regeln und Semestern ablaufende Ausbildung eher paradox, fast kontraproduktiv. Würde nicht auch die Vorstellung eines studierten Regisseurs viel vom Nimbus des unabhängigen Künstlers zerstören? Zwar sind andere künstlerische Studiengänge wie Komposition oder Malerei bekannt und akzeptiert. Doch sind sie auch auf eine spezielle Eigenbegabung des Studenten abgestimmt. Was ein Regisseur mitbringen muss, ist wesentlich schwieriger in Worte und Ausbildungspläne zu fassen. Dennoch gibt es sie, die Regiehochschulen, an denen junge Menschen, die Theaterstücke inszenieren wollen, ihr Handwerk lernen können. In Deutschland sind es derzeit acht staatliche Einrichtungen, die einen Studiengang Regie anbieten – und das seit einigen Jahren. Grob gesagt arbeitet heute kaum noch ein nach 1970 geborener Regisseur an einer überregional beachteten Bühne, der sein Rüstzeug fürs Theater nicht auf einer jener Hochschulen mit auf den Weg bekommen hätte. Die Zeiten, in denen man sich mühselig durch Hospitanzen und Regieassistenzen quälen musste, um eines Tages auf irgendeiner Studiobühne seine erste eigene, von Publikum kaum beachtete Regiearbeit zeigen zu können, sind vorbei. Begabte Hochschulabsolventen werden heutzutage direkt nach dem Diplom an den ersten Häuser verpflichtet, dafür sorgteinbreiterFörderrahmen.Werzielstrebigarbeitet,schon zu Studienzeiten seine Regieprojekte bei Nachwuchsfestivals lancierenkann,sahntab–wieDavidBösch,derseineKarriere vor wenigen Jahren mit einem Preis beim Körber Studio Junge Regie begonnen hatte, heute am Thalia Theater und am Züricher Schauspielhaus inszeniert und regelmäßig zu Festivals eingeladen wird. Stichwort Körber Studio: Die alljährlich in Hamburg stattfindende Leistungsschau präsentiert ausgewählte Inszenierungen deutschsprachiger Regiehochschulen von Zürich bis Berlin. Nicht nur für David Bösch ein Sprungbrettfestival, auch andere Talente wie Jorinde Dröse oder Roger Vontobel konnten sich hier zum ersten Mal über den geschützten Raum ihrer Ausbildungsstätten hinaus eine größere Aufmerksamkeit verschaffen. Neben der Öffentlichkeitswirkung und der Preisvergabe – die Einladung, eine Inszenierung an einem deutschsprachigen Staats- oder Stadttheater herauszubringen – gibt das von der UniversitätHamburgundderinHamburgansässigenKörber Stiftung ins Leben gerufene Festival den jungen Regisseuren die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und den meist aus fachlichem Interesse angereisten Besuchern einen Eindruck von der Ausbildungssituation an den Regieschulen zu vermitteln. Hier werden Trends gesetzt, weitergeführt kann man sie bei anderen Festivals beobachten, die sich dem Schaffen junger Regisseure widmen. Bei Radikal jung etwa. Zum dritten Mal wurde das Festival in diesem Jahr vom Münchner Volkstheater durchgeführt. Eine dreiköpfige Jury hatte aus einer Vielzahl von Inszenierungen, deren Regisseure die dreißig nicht oder kaum überschrittenhaben,dieneunbestenausgesuchtundeingeladen. Im Unterschied zum „Körber Studio“ werden hier keine Studienproduktionen gezeigt, sondern Regiearbeiten, die den Weg auf die große Bühne bereits gefunden haben. Und es sind immer dieselben Namen, die im Programmheft auftauchen: David Bösch eben, der in der vergangenen Ausgabe bereits zum dritten Mal vertreten war, Roger Vontobel, diesmal immerhin zum zweiten Mal dabei, oder die Österreicherin Christine Eder, die letztes Jahr mit ANTIGONE ihren Einstand bei Radikal jung gegeben hatte. Seine Festivalpremiere lieferte, mit Shakespeares OTHELLO,derThüringerTilmannKöhler,AbsolventderBerliner „Ernst-Busch-Hochschule“. Ein Siebenundzwanzigjähriger, der aber bereits jetzt schon als Hausregisseur in Weimar angestellt ist und in dieser Funktion bereits etliche Inszenierungen für das Theater erarbeitet hat. Eine davon, Ferdinand Bruckners KRANKHEIT DER JUGEND, war beim diesjährigen Theatertreffen in Berlin zu sehen. Fortsetzung auf Seite 2 Diplom fürs Stadttheater Wer an großen Häusern inszenieren möchte, kommt um ein Regiestudium kaum mehr herum. Tilmann Köhler ist eine dieser jungen Begabungen, er ist bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden. Seine OTHELLO- Inszenierung am Nationaltheater Weimar war in München bei Radikal jung zu sehen. Foto: Bergmann Junge Regisseure lernen ihr Handwerk heutzutage häufiger an der Hochschule als am Theater

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