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MADE IN GERMANY

14 Behältnissen genommen. Der Gegenstand erscheint vor dem tiefroten Untergrund der Tischplatte als absolut reduzierte Form – wie ein Idol aus einer anderen Kultur oder eine moderne Skulptur. Dass die Künstlerin solche Beobachtungen in der Produk­ tion machte, zeugt von ihrer genauen Wahrnehmung der Wirk­ lichkeit, denn sie entdeckt immer wieder Außergewöhnliches im Alltäglichen. Mit diesem fotografischen Ansatz lässt sich dann letztlich begründen, warum Philine von Sell nur in Ausnahme­ fällen Menschen bei der Arbeit zeigt, denn ihr geht es vor allem um die großen Zusammenhänge, um die Atmosphäre in den Betrieben. Bei solchen Bildern aus der Produktion treten Men­ schen nur in Ausnahmefällen in Erscheinung, doch trifft man in den Fotos immer wieder auf Spuren ihrer Existenz und ihrer Tätigkeit. Philine von Sell zeigt, welche Formen und Gegenstände die Arbeiter herstellen und welche Orte sie mit ihrem Handwerk bestimmen – jedoch nur ausnahmsweise, wie von Menschen­ hand gearbeitet wird. Philine von Sell geht es dementsprechend nicht um Porträts, um Gesichter, Gesten oder Haltungen bei­ der Arbeit, sondern um die Darstellung von Arbeitszusammen­ hängen und um die technisch-organisatorischen Bedingungen in den Fabriken. Der Mensch – und damit entspricht ihre Foto­ grafie der heutigen Arbeitswirklichkeit – ist zwar nach wie vor unersetzlich, denn sein Geschick, seine Intelligenz und seine feinmotorischen Fähigkeiten lassen sich längst noch nicht überall durch Maschinen ersetzen, doch wird der in der Pro­duktion arbeitende Mensch heute im Verhältnis zu früheren Epochen in immer geringerer Zahl benötigt. Der Mensch, nach wie vor für die heutige Produktion eminent wichtig, ist eigentlich zu einer ephemeren Größe geworden – so auch im Fotoprojekt Made in Germany. Gleichwohl erscheinen Werk­tätige in einigen wenigen Fotografien; dann stehen die Arbeiter im Zentrum des Geschehens, weil die Fotografin ihre Tätigkeit im Zusammenspiel mit den Maschinen und den Objekten vorstellt. Zwar sind die Töpferscheiben bei Villeroy & Boch unbesetzt, man erkennt aber deutlich, dass an diesen Arbeitsplätzen hand­ werklich-­kreativ gearbeitet wird. Es ist zudem die klare und ausgewogene Tektonik der Fotografien Philine von Sells, die eine deutliche Sprache spricht und die Qualität ihrer Bilder bestimmt. In den Kompositionen ihrer Fotografien werden immer wieder Ordnungskonzepte und ­Arbeitssysteme sichtbar, die unabdingbar sind, wenn tagtäglich von neuem ein hoher Produktionsstandard erreicht werden soll, der das Gütesiegel Made in Germany verdient. »Es ist eine Sache eine Hochleistung zu erbringen, aber dies immer wieder zu schaffen, also permanent Güte und Qualität zu garantieren, das ist etwas Außergewöhnliches – das verbinde ich mit dem Begriff Made in Germany«, sagt Philine von Sell, und fährt fort: »Alles hat eine Seele – und nicht nur die Menschen, auch die Dinge haben eine Ehre.« Diese Formulierung mag tatsächlich für Made in Germany grundlegend gewesen sein, doch wirkt in der globalisierten Industrie der Gegenwart vor allem der ­moderne Designgedanke und somit die Idee von der Weiterent­ wicklung und vor allem der Verbesserung von Produktion und Produkten. Beim Design geht es um Waren und ihre Preise. Dies setzt Funktionalität und Funktionieren voraus und eben darin liegt eine große Stärke der deutschen Industrieprodukte. Der künstlerische Blick überformt diese Tatsache mit einer subjek­ tiven Betrachtung – und dies scheint vonnöten, um überhaupt einen Blick für das zeitgenössische Industrielle zu entwickeln, denn eigentlich kennen wir als Konsumenten vor allem die Waren, kaum aber die Situation ihrer Produktion. Aber es ist auch so, dass die Grenzen zwischen Design und Kunst im Schmelzen begriffen sind, dass es Überschneidungen zwischen beiden Bereichen gibt, ohne damit gleich zu behaup­ ten, wir lebten in einer künstlerisch gestalteten Wirklichkeit. Es mag aber sein, dass dies ein noch verborgenes, bislang nicht vollständig begriffenes und nur halb bewusstes Anliegen der Moderne und ihrer Ausläufer ist. Erst die Zukunft wird uns ­darüber Aufschluss geben können. Doch wäre es dann eine­ der letzten, wenn auch eine der größten Utopien, die uns aus­ der Moderne des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart leuchtet. Dies vom Ansatz her erkannt und in Fotografie umgesetzt zu haben, ist das Verdienst Philine von Sells, die ihre künst­lerisch- persönliche Sichtweise zum Ausgangspunkt der großen Re­ cherche Made in Germany gemacht hat. 1 Ingeborg Güssow, »Die neusachliche Photographie«, in: Kunst und Technik in den 20er Jahren. Neue Sachlichkeit und gegenständ­licher Konstruktivismus, Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1980, S. 97 f.

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