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MADE IN GERMANY

9 Das Gold liegt dunkel und dickflüssig auf der Palette, die Pinsel und Spachtel sind akkurat abgelegt. Arbeitspause. Man glaubt, eine Hand, wohl eine Frauenhand, zu sehen, wie sie seit Jahren rhythmisch unverdrossen und eben akkurat den Pinsel in die Farbe taucht. Sie trägt mit lockerem Schwung die dunkle, rotgelbe Farbe, das flüssige Gold, auf Teller und Tassen auf. Wir vermuten einen repetitiven Akt, er erscheint harmonisch und – entgegen der allseits benannten These vom sinnentleerten Tun des Arbeiters – als sinnvoll. Philine von Sell ver­mittelt etwas von der Würde der Arbeit, selbst wenn der Arbei­ter auf dem Bild nicht zu sehen ist. Mit Sozialromantik hat das nichts zu tun. Kein schöner Schein täuscht in den ausgewählten Motiven und dem Stil der Fotografien darüber hinweg, dass hier wie früher in einer Manu­ faktur – also von Hand und mit Verstand – ein Alltagsgegenstand gefertigt wird. Es befinden sich nur wenige Menschen in den riesengroßen Hallen, in denen Maschinen rattern, lärmen, Metall­ gegen Metall schlägt, Gummizüge quietschen und Loren, Gabel­ stapler oder sonstige Beförderungstechnik mit leichter Unwucht über die blank gebohnerten Estrichböden gefahren werden. Ab und an unterbricht ein Zischen den quälenden Lärm – als wollte der entweichende Dampf auf die ersten Stunden der Industria­ lisierung hinweisen, als mit Dampf betriebene Ungetüme in riesigen Fabrikfluchten eine Symphonie kakofonen Grauens auf­ führten. Seither ist viel Zeit vergangen. Der Arbeiter an der Maschine ist heute vergleichsweise geschützt vor Lärm, Schadstoffen, zerstörerischen Arbeitsprozessen, ist selten überhaupt in den Fabrikgebäuden anzutreffen, zumindest im sogenannten alten Europa. Gilt doch der Mensch gemeinhin als berechenbarer Kostenfaktor, den zu minimieren zu einer ökonomisch wert­ vollen Tat geworden ist. Das stellte bereits John Ruskin fest, englischer Kunsthistoriker und Sozialphilosoph der beginnen­ den Industrialisierung. In seinen Maximen gegen die zuneh­ mende Sinnentleerung menschlicher Tätigkeit in den englischen Fabriken entwickelte er eine Wirtschaftsethik, die den Menschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen und in der hand­werk­ lichen Arbeit den schöpferischen Anteil oder Wert erkennen sollte. Für Ruskin waren funktional effizient gestaltete Fabrik­ hallen bereits Synonyme für den Verfall der Qualität mensch­ licher Arbeit und ihrer Rezeption. Die Dinge besitzen nur den Wert, den man ihnen beimisst, bemerkt der portugiesische Schriftsteller Fernando Pessoa in seinem Buch der Unruhe. In Zeiten des Paradigmenwechsels von der mechanischen Moderne zur digitalen Postmoderne ist dies ein geradezu exemplarisches Diktum, das die »gute Form« immer noch als etwas Greifbares, Handfestes versteht, zugleich die Formgebung im ephemeren Raum der digitalen, nicht mehr greifbaren Form nicht aus ihrer gestalterischen Verantwortung entlässt, Dinge für den Menschen zu schaffen. Am Anfang des 21. Jahrhunderts haben globalisierte Ent­ wicklungs- und Fertigungsprozesse die Objekte von ihren natio­ nalen Markenzuordnungen oder gar Gütesiegeln »befreit«. Und sie haben ihnen damit zugleich jegliche Unschuld als Gegen­ stände der einstmals guten Form genommen, deren Wurzeln tief in einer Art »sozialer Plastik« verankert sind. So gesehen müssen die Fertigungsbetriebe, die Philine von Sell in Deutschland besucht hat, wie Anachronismen erscheinen, Relikte einer Zeit, in der Arbeit von Hand zu Hand ging. Wohl in Anlehnung daran hat sie die hier porträtierten Produkte und – man ist versucht, sie so zu nennen – Manufakturen mit quasi analoger Sorgfalt »aus der Hand« fotografiert und in der Folge auch nicht digital bearbeitet. Faber-Castell, Würth, Schleich, Rectus, Falke, Villeroy & Boch oder ­Dr. Oetker und alle weiteren Firmen stehen als Sy­no­ nyme für eben dieses Made in Germany, für unternehmerische Sorgfalt und soziale Verantwortung. Ursprünglich waren es die Eng­länder, die mit dem »Merchandise Marks Act« von 1887 vor Waren und Produkten aus Deutschland warnten, also die heimische Produktion schützen wollten. Was als englisches Re­- striktions­element gedacht war, entpuppte sich als umgekehrte Erfolgsgeschichte. Die deutschen Produkte stellten sich in zunehmendem Maße als die qualitätvolleren heraus. ­Wobei ­zu berücksichtigen ist, dass in Deutschland viele in­dustrielle so­- wie handwerkliche Verfahren vom damaligen Marktführer Eng­ land übernommen, allerdings – nicht zuletzt in ­Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbe-, später häufig Werk­kunst­schulen – präzisiert und verfeinert worden waren. So ­wurde aus dem Makel ein Prädikat. Der ursprünglich rein natio­nale Herkunfts­ nachweis geriet zum Gütesiegel in Her­stellung und Produktion. »Ob es ­für Qualität bürgte, weil es deutsch war, oder ob es deutsch ­war, weil es für Qualität bürgte, lief schlicht auf das Gleiche hinaus.«1 Die hier abgebildeten Arbeitsprozesse sind dennoch immer Ausdruck industrieller Massenkultur, stehen für serielle Ferti­ gung und Automatisierung. Und doch ist der sogenannte menschliche Faktor präsent. Die faber-castellschen Bleistift­ minen werden nach wie vor von Hand (aus-)sortiert. Bei Eternit muss die Modularpaste von Hand auf die endlos aneinander­- zu­fügenden Grundformen aufgetragen werden. Bausch Decor KEIN FLÜSSIGES GOLD AUF UTOPIA … ANNE MAIER

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